Essgeschwindigkeit verringern

Techniken zur Verringerung der Eßgeschwindigkeit werden wie die Stimuluskontrolltechniken seit dem Beginn der verhaltenstherapeutischen Behandlung der Adipositas in fast jedem verhaltenstherapeutischen Adipositasprogramm vermittelt.

Die Techniken, die eine Verringerung der Eßgeschwindigkeit zum Ziel haben, werden häufig auch den Stimuluskontrolltechniken zugeordnet (LeBow, 1991), sollen hier aber wegen ihrer zentralen Bedeutung, wie auch bei anderen Autoren (Stunkard, 1982; Wadden, 1993), als eigenständige Komponente aufgeführt werden.

Ferster et al. (1962) definierten Essen als eine Kette von Verhaltensweisen, die bei Übergewichtigen zu rasch abrollt. Nach Ferster et al. (1962) unterscheiden sich Übergewichtige in mehreren Parametern des Eßverhaltens von Normalgewichtigen: Sie nehmen größere Bissen zu sich, verzehren ihre Mahlzeiten schneller, machen keine Pausen und kauen weniger. Dadurch setzen die Sättigungsmechanismen verspätet ein und Adipöse essen infolgedessen mehr. Heute weiß man, daß nicht alle Adipösen schneller essen und auch bei denjenigen, die man als schnelle Esser bezeichnen könnte, ist nicht erwiesen, daß das schnelle Essen einen ätiologischer Faktor der Adipositas darstellt.

Folgende Verhaltensregeln werden empfohlen, um die Eßgeschwindigkeit zu senken (Stunkard, 1982; Ferstl, 1980): Es sollen nur kleine Bissen auf die Gabel oder den Löffel genommen und jeder Bissen öfter gekaut werden. Weiterhin wird empfohlen, entweder jeden Bissen, jedes Kauen oder jedes Schlucken einer Mahlzeit zu zählen.

Auch Pausen können während der Mahlzeit eingeführt werden. So wird zum Beispiel vorgeschlagen, nach jedem dritten Bissen oder auch nach jedem Schlucken eine kleine Pause einzulegen. Auch längere Pausen (z.B. 2 Minuten) werden empfohlen. Man beginnt mit der Pause am Ende der Mahlzeit, da diese dann von den Patienten besser toleriert wird. Schrittweise werden dann mehr und auch längere Pausen eingeführt.

Auch die beiden Verhaltensregeln, erst nach dem Herunterschlucken einen neuen Bissen zu sich zu nehmen und neue Bissen erst eine Zeit lang auf der Gabel zu belassen, sollen die Eßgeschwindigkeit verringern.

Die Klienten werden gebeten mit dem Fernsehen oder dem Lesen aufzuhören, damit das Essen zu einem einzigen Erlebnis wird. Sie sollen Kauen, Schlucken und das Runterrutschen der Nahrung in den Magen genießen (Stunkard, 1982).

Durch die Anwendung der Verhaltensregeln zur Verlangsamung der Nahrungsaufnahme werden verschiedene Effekte intendiert. Erwartet wird, daß durch das langsamere Essen die Sattheitsgefühle früher einsetzen und dadurch insgesamt weniger gegessen wird. Darüber hinaus will Ferster et al. (1962) eine Kontingenz zwischen der Beendigung des Essens und dem angenehmen Sattheitszustand schaffen.

Wadden und Bell (1990) weisen auf drei weitere mögliche Funktionen dieser Strategien hin, die für den Einsatz der obigen Verhaltensregeln sprechen. Adipöse lernen durch die Verlängerung der Mahlzeit besser die Konsistenz und den Geschmack des Essens kennen, was sich gut auf Deprivationsgefühle auswirkt, die bei einer reduzierten Nahrungszufuhr auftreten können. Weiterhin bietet das langsamere Essen die Möglichkeit darüber nachzudenken, ob das eigene Eßverhalten passend ist. Schließlich berichten Patienten darüber, daß ein entspannteres Eßverhalten zu einem höheren Gefühl von Selbstkontrolle und Wohlbefinden beiträgt.

Empirische Hinweise

Eine Studie von Spiegel, Wadden und Foster (1991) konnte an 10 adipösen Frauen zeigen, daß durch die Anwendung verhaltenstherapeutischer Techniken zur Verringerung der Eßgeschwindigkeit, sich die Zeit für die Nahrungsaufnahme auch tatsächlich verlängert. Die Dauer des Frühstücks nahm von 14 Minuten beim ersten Meßzeitpunkt (1. Woche) auf 18 Minuten beim zweiten Meßzeitpunkt (28. Woche) zu. Die Verlängerung der Nahrungsaufnahme korreliert in der 28. Woche mit der Gewichtsabnahme zu r = .67. Es scheint daher ratsam, die Verlangsamung der Eßgeschwindigkeit als ein Ziel verhaltenstherapeutischer Programme anzusehen. Die Veränderung im Eßverhalten war aber nicht von Dauer. Zum dritten Meßzeitpunkt (41. Woche) aßen die adipösen Untersuchungsteilnehmer wieder mit derselben Geschwindigkeit wie zum ersten Meßzeitpunkt (14,6 Minuten). In der Untersuchung wurde weiterhin festgestellt, daß die Verlängerung der Mahlzeit durch langsameres Essen zustande kam, während die Anzahl der Bissen konstant blieb. Die Studie konnte nicht zeigen, daß die Gewichtsabnahmen der langsameren Esser zum zweiten Meßzeitpunkt, infolge des langsameren Essens zustande kam. Es besteht die Möglichkeit, daß die lang-sameren Esser andere Techniken gewissenhafter verwandten, die schließlich zu den Gewichtsabnahmen führten.

Ein weiteres Ergebnis dieser Studie lag darin, daß sich durch das Einlegen einer Pause nach dem Verzehr einer normalen Portionsgröße die Sättigung erhöhte. Man kann vermuten, daß durch das Pausieren nach einer Mahlzeit normalen Umfangs die Sättigung in einem Maße zunimmt, so daß sich dadurch das Bedürfnis einer weiteren Nahrungszufuhr verringert.

Aufgrund der geringen Anzahl an Untersuchungen kann man dieser Behandlungskomponente keine gesicherte empirische Wirkung zusprechen. Interessant wäre die Überprüfung der Hypothese, ob sich bei den Adipösen durch eine Verringerung der Eßgeschwindigkeit das Gefühl einer erhöhten Kontrolle über das eigene Eßverhalten einstellt.