Psychische Störungen

Es gibt Autoren, die vermuten, dass psychische Störungen bei einigen adipösen Patienten einen ätiologischen Faktor darstellen (Bruch, 1973; Zielke & Reich, 1990). Problematisch bei den Forschungsergebnissen ist, dass in den Untersuchungen nicht geklärt wurde, ob die gefundenen psychischen Auffälligkeiten sich nicht vielmehr als Folge der Adipositas entwickelt haben. Auch wenn sich in weiteren Untersuchungen herausstellen sollte, dass psychische Störungen keine ätiologische Relevanz besitzen, sind sie doch insofern von Bedeutung, da sie eine Determinante der Aufrechterhaltung darstellen können (Stichwort: Kompensatorisches Essen). Dementsprechend dürfte eine Adipositastherapie umso erfolgreicher sein, je mehr die Störungen im therapeutischen Konzept Berücksichtigung finden.

Zielke und Reich (1990) erhoben bei einer Stichprobe von 50 Patienten einer psychosomatischen Fachklinik, die sich wegen Adipositas in Behandlung befanden, mit Hilfe eines strukturierten klinischen Interviews psychische Diagnosen nach dem DSM-III-R (American Psychiatric Association, 1987).  Als prävalente Störungsbereiche ergaben sich dabei hohe Raten an Eßanfällen, depressive Syndrome, Panikattacken, soziale Phobien und einfache Phobien sowie dysthyme Störungen und insbesondere bei den männlichen Patienten substanzinduzierte Störungen. Von 38 Frauen litten 68,4 % im Laufe ihres Lebens unter einem Major Depressive Syndrome, 36,8 % unter Panikattacken und 34,2 % unter sozialer Phobie. Von 12 Männern besaßen 50 % ein Major Depressive Syndrome, 33,3 % zeigten eine Dysthymie und 25 % litten unter Alkoholstörungen. Weiterhin zeigten 48 % der Patienten Eßanfälle. Für eine adäquate Einordnung dieser hohen Prävalenzraten sollte berücksichtigt werden, daß der adipöse Patient einer psychosomatischen Fachklinik eventuell nicht repräsentiv für den durchschnittlich adipösen Patienten ist.

Powers, Rosemurgy, Coovert und Boyd (1988) fanden bei 23 von 29 untersuchten Patienten eine Störung nach dem DSM-III-R aus dem Bereich der Stimmungs- und Angststörungen.
Bei der Durchsicht von Entlassungsbriefen von Patienten einer psychosomatischen Klinik, die als Erst-, Zweit- oder Drittdiagnose eine Adipositas aufwiesen, fanden Zielke, Olivet und Dehmlow (1990) als häufigsten Behandlungsgrund Diagnosen, die der Gruppe der Neurosen zuzuordnen waren (49,66 %). Die neurotische Depression mit 39,6 % wurde dabei am häufigsten genannt, gefolgt von der Angstneurose (6 %). Funktionelle Störungen fanden sich bei 12,75 % der Patienten und 10,73 % der Patienten zeigten depressive Reaktionen. Patienten ohne psychiatrische Behandlungsdiagnose machten 16,1 % der Stichprobe aus.

Zielke et al. (1990) fordern aufgrund der Ergebnisse eine Diversifizierung der Behandlungsansätze, die sich von Standardverfahren zur Gewichtsreduktion und zur Veränderung des Eßverhaltens verabschieden sollten.