Selbstbeobachtung als Therapietechnik beim Abnehmen

Selbstbeobachtung ist ein zentraler Bestandteil jeder verhaltenstherapeutischen Behandlung der Adipositas und wird von Praktikern als außerordentlich wichtige Komponente angesehen (Stunkard, 1982; Wadden, 1993; Wadden & Bell, 1990). Weiterhin stellt sie den ersten therapeutischen Schritt bei Selbstkontrolltechniken dar (Kanfer, 1977b, zitiert nach Reinecker, 1997), die in der Adipositasbehandlung eine wichtige Rolle spielen.

Die Selbstbeobachtung besitzt verschiedene Funktionen in der Therapie. Sie liefert eine Fülle von Daten, die für den therapeutischen Prozeß genutzt werden können. Der Patient führt durch die Beobachtung seines Eßverhaltens und dessen Determinanten eine Verhaltensanalyse durch. Auf den Erkenntnissen der Verhaltensanalyse basiert nun das therapeutische Vorgehen (z.B. Veränderung der Reize, die dem Eßvorgang vorausgehen). Es kommt zu einer Problemspezifizierung, wodurch der Patient eine größere Klarheit über die Determinanten seines Problems erhält. So sind beispielsweise viele Patienten überrascht, wieviel und wie die Umstände variieren, unter denen sie essen (Stunkard, 1982).

Da die Selbstbeobachtung während des ganzen therapeutischen Prozesses durchgeführt wird, bieten die Erkenntnisse durch die Selbstbeobachtung auch eine wichtige Quelle für die Feinabstimmung des therapeutischen Vorgehens während der Therapie.

Die Thematiken, die beobachtet werden (z.B. Bewegungsverhalten), verdeutlichen meistens schon die Schritte, die für eine Gewichtsabnahme nötig sind. Ansatzpunkte der Veränderung und Therapieziele werden dadurch offensichtlich.

Mit der Selbstbeobachtung werden auch die Fortschritte des Klienten festgehalten. Die Beobachtungen sind die Basis für die Verstärkung des erwünschten Verhaltens bzw. für Selbstverstärkung im Rahmen des Selbstkontrollansatzes.

Schließlich verändert sich das problematischen Verhalten (Eßverhalten, Bewegungsverhalten) häufig schon durch dessen Beobachtung in die gewünschte therapeutische Richtung. Eine Erklärung für diese sogenannten reaktiven Effekte sieht man darin, daß es bei der Selbstbeobachtung durch die Aufzeichnung entweder zu einer Unterbrechung einer problematischen Verhaltenskette kommt, oder daß die Beobachtung verstärkende bzw. bestrafende Effekte besitzt, die das beobachtete Verhalten verändern (Reinecker, 1997).

Was kann durch die Selbstbeobachtung erfasst werden?

Allgemein werden mittels Selbstbeobachtung die Energiezufuhr und der Energieverbrauch sowie deren Determinanten erfaßt. Es werden nun kurz die Thematiken vorgestellt, die Gegenstand der Selbstbeobachtung sind. Hierdurch wird deutlich, daß die Selbstbeobachtung in vielen Bereichen der Adipositasbehandlung eine wichtige Rolle spielt.

  1. Der Patient kann mittels Selbstbeobachtung die Quantität der Nahrungszufuhr, die Art der Lebensmittel, den Kaloriengehalt oder auch die Zubereitungsart erfassen. Zu Beginn der Therapie wird der Kaloriengehalt errechnet, und so wird überprüfbar, ob der Patient durch sein gegenwärtiges Ernährungsverhalten eine positive Energiebilanz aufweist (Wadden & Bell, 1990). Falls vorhanden, wird dem Patienten dadurch seine erhöhte Energiezufuhr bewußt. Neben der Erfassung der bisherigen Energiezufuhr ist eine Gewichtsabnahme fast immer mit einer Beschränkung der Kalorienzufuhr gekoppelt, deren Einhaltung mittels Selbstbeobachtung überprüfbar wird. Schließlich wird auch der Kalorien- bzw. Fettgehalt des umgestellten Ernährungsverhaltens erfaßt.
  2. Neben der Energiezufuhr werden auch Zeit, Ort und Umstände des Essens notiert (Stunkard, 1982). So können Stimuli identifiziert werden, die Essen auslösen und die mit Techniken der Stimuluskontrolle verändert werden können. Beispielsweise stellt der Patient fest, daß das allabendliche Fernsehschauen mit einem übermäßigen Konsum von Süßigkeiten einhergeht.
  3. Auch das Ausmaß des Hungergefühls kann erfaßt werden. Der Patient soll lernen, zwischen psychologischem und physikalischem Hunger zu unterscheiden (Wadden & Foster, 1992). Der physikalische Hunger wird dem Patienten während einer Diät dann deutlich, wenn er eine Mahlzeit verspätet einnimmt. Weiterhin soll der Grad des Hungers abgeschätzt werden. Dadurch wird manchen Patienten bewußt, daß sie häufig auch dann essen, wenn gar kein physikalischer Hunger vorhanden ist.
  4. Da Kognitionen, Stimmungen und Gefühle das Verhalten und somit auch das Eßverhalten bestimmen, soll der Patient, diejenigen beobachten und registrieren, die mit dem Eßvorgang in Verbindung stehen (Wadden & Bell, 1990). So könnte beispielsweise erfaßt werden, daß Ärger zum Essen führt. Durch das Erlernen von Problemlösefertigkeiten kann versucht werden, andere Reaktionsmöglichkeiten zu entwickeln.
  5. Durch Selbstbeobachtung können auch riskante Situationen erfaßt werden, die eine erhöhte Nahrungszufuhr zur Folge haben. Ein adäquater Umgang mit diesen Situationen wird beispielsweise in der Rückfallverhütung geübt.
  6. Neben der Erfassung von Verhaltensweisen und Situationen, die für eine erhöhte Energiezufuhr verantwortlich sind, ist häufig auch das Bewegungsverhalten Gegenstand der Selbstbeobachtung (Wadden, 1993), da bei vielen Adipösen diese Komponente des Energieverbrauchs zu gering ist.

Es existieren eine Reihe von Formblättern, die den Patienten ausgehändigt werden können. Sie erleichtern die Beobachtung und Registrierung und unterscheiden sich bezüglich der Beobachtungsinhalte und in der Ausführlichkeit (Agras, 1987).

Intendiert der Therapeut durch die Selbstbeobachtung schon eine Verhaltensänderung und weniger die Erhebung von Verhaltensdaten, sollte er den Patienten anweisen, dieses vor der Ausführung des zu beobachtenden Verhaltens zu registrieren (Ferstl, 1980).

Diedrichsen (1990) weist darauf hin, daß die Daten, die Mittels Selbstbeobachtung erhoben werden, mit Fehlern behaftet sind. Ferstl (1980) nennt drei Parameter von der die Genauigkeit der Daten abhängen. Erstens von der Genauigkeit der Definition des zu beobachtenden Verhaltens, zweitens ob es sich um objektive oder subjektive Daten handelt und schließlich vom Übungsgrad der betreffenden Person in der Selbstbeobachtung. Zusätzlich müssen bei der Beurteilung der Daten reaktive Effekte in Betracht gezogen werden.

Empirische Hinweise

In einer Untersuchung von Mahoney, Moura und Wade (1973) erhielten Patienten zusätzlich zur Information über Stimuluskontrolltechniken die Anweisung, zweimal wöchentlich ihr Gewicht und ihr Eßverhalten zu registrieren. In dieser Bedingung zeigte sich nach 4 Wochen nur eine enttäuschende Gewichtsabnahme von durchschnittlich 0,8 Pfund im Gegensatz zu den Gewichtsabnahmen der Teilnehmer anderer Behandlungsgruppen, die erheblich höher lagen.

Stollak (1967) konnte zeigen, daß man durch die alleinige Aufzeichnung der Energiezufuhr über 8 Wochen nur sehr geringe Effekte (-1,1 Pfund) erzielt. Wurden aber zusätzlich die Aufzeichnungen in der Gruppe wöchentlich besprochen, ergaben sich Gewichtsabnahmen von durchschnittlich 8,5 Pfund.

Mahoney (1974) stellte fest, daß die Selbstbeobachtung des Körpergewichts und des Eßverhaltens einen initialen Gewichtsverlust zur Folge hat, der sich aber nach 2 Wochen umkehrt, während in anderen Behandlungsgruppen (zusätzliche Anwendung von Verstärkungstechniken) in der weiteren Behandlungsphase weiter an Gewicht abgenommen wurde.

Bellack, Rozensky und Schwartz (1974) fanden gute Effekte bei der Selbstbeobachtung der Nahrungsaufnahme, wenn die Aufzeichnung vor der Nahrungsaufnahme stattfand. Die guten Ergebnisse erklären die Autoren mit der Unterbrechung ablaufender Verhaltensketten. Keine Effekte zeigten sich, wenn die Aufzeichnung nach der Nahrungsaufnahme vorgenommen wurde.

In einer Studie von Romanczyk, Tracey, Wilson und Thorpe (1973) wurden verschiedene Komponenten der Adipositasterapie untersucht. Das Hauptergebnis dieser Untersuchung lag darin, daß die Selbstbeobachtung der Kalorienzufuhr ohne Therapeutenkontakt eine effektive Methode der Gewichtsabnahme darstellt. Die Autoren erklären sich das gute Ergebnis damit, daß die Kalorienzufuhr ein definitives Kriterium darstellt, an dem das eigene Verhalten beurteilt wird und eine Selbstverstärkung einsetzt.

Nach Wadden und Letizia (1992) zeigen Personen, die regelmäßig und gewissenhaft ihre Selbstbeobachtungen bezüglich der Kalorienzufuhr durchführen, langfristig bessere Gewichtsabnahmen. Es wird vermutet, daß dieser Zusammenhang zwischen Selbstbeobachtung und langfristiger Gewichtsabnahme ein korrelativer ist, als daß die Selbstbeobachtung eine Ursache der Gewichtsabnahme darstellt.

Selbstbeobachtung ist eine Hauptstütze in der verhaltenstherapeutischen Adipositasbehandlung. Ihr Wert liegt insbesondere bei der Sammlung vielfältiger Informationen. Als eigenständige Technik ist ihr Wert begrenzt. Ihre Wirkung zeigt sie vielmehr in der Kombination mit anderen Techniken. Neben kurzfristigen reaktiven Effekten scheint die Selbstbeobachtung bezüglich ihrer Wirkung in Richtung einer verminderten Energiezufuhr dann am wirksamsten zu sein, wenn eine Aufzeichnung vor der Nahrungszufuhr stattfindet, und der Kaloriengehalt Gegenstand der Beobachtung ist. Die Registrierung der Gewichtsverläufe scheint weniger effektiv zu sein.