Verstärkungstechniken, Zielsetzung und Therapieverträge in der Adipositastherapie

Selbstverstärkung

Eine bewährte verhaltenstherapeutische Technik bei der Gewichtskontrolle ist die Selbstverstärkung. Sie stellt die letzte Phase, nach der Selbstbeobachtung und Selbstbewertung zur Erhöhung der Selbstkontrolle dar. Mit gezielter Selbsteinflußnahme werden eigene Leistungen in Richtung auf das therapeutische Ziel anerkannt und selbst belohnt. Die Betroffenen lernen allmählich auf Grund angenehmer Folgen eines offenen bzw. verdeckten Stimulus, das erwünschte Verhalten häufiger zu zeigen.

In der Adipositasbehandlung wird heutzutage überwiegend positiv verstärkt, um ein bestimmtes Eßverhalten zu erlernen, bzw. seine Auftrittswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Positive Verstärkungstechniken werden auch beim Aufbau von Bewegungsverhalten eingesetzt.

Weiterhin setzt häufig auch eine Verstärkung ein, wenn ein bestimmtes Abnahmeziel erreicht wird (z.B. wöchentliche Gewichtsabnahme von 1 kg). Bei der Verstärkung von Gewichtsabnahmen ist jedoch nicht klar, welche Verhaltensweisen durch die verabreichte Belohnung in ihrem Auftreten erhöht werden. In einer Untersuchung von Mann (1972, zitiert nach LeBow), nahmen einige Versuchsteilnehmer Diuretika, um eine Gewichtsabnahme zu forcieren, damit sie wichtige Gegenstände zurückerhielten, die zu Beginn der Therapie ausgehändigt wurden. Gegenstand einer positiven Verstärkung kann auch eine regelmäßige Teilnahme an den Gruppenstunden oder eine bestimmte Ernährungsweise (z.B. fettarmes Essen) sein. Protokollbögen stellen die Grundlage für die Applizierung des Verstärkers dar.

Verstärker können unterschiedlichster Art sein. Bei der Auswahl potentieller Verstärker, kann die Aufstellung Cautelas (1977, zitiert nach Reinecker, 1997) eine Hilfe sein. Weiterhin kann schon die Vorstellung und Erwartung angenehmer Konsequenzen bekräftigend wirken.

Thoresen und Mahoney (1974, zitiert nach Reinecker, 1997) unterscheiden bei der Selbstverstärkung, die Verstärkung des Zielverhaltens mittels eines außergewöhnlichen Reizes (z.B. Kauf eines bestimmten Kleidungsstücks) und die Belohnung durch alltägliche Verstärker (z.B. Tasse Kaffee, Arbeitspause), derer sich die Person aber vorher enthalten muß.

Koch, Gromus und Bengel (1986) bevorzugen in der Adipositasbehandlung kognitive Verstärker gegenüber materiellen und sozialen Verstärkern. Sie weisen darauf hin, daß das angestrebte Verhalten und nicht dessen Erfolg (Gewichtsabnahme) belohnt werden müßte und deshalb die Verstärkung in geringer zeitlicher Latenz erfolgen sollte. Aus diesem Grund werden selbstapplikative kognitive Verstärker präferiert, deren Haupteffekt in der Bewußtmachung des Veränderungsprozesses liegen dürfte (Koch et al., 1986).

Stunkard (1982) sieht die Einführung eines Punktesystems als günstig an, um die Zeit zwischen dem Verhalten und der Belohnung zu verringern. Hierbei bekommen die Klienten für jedes erwünschte Verhalten Punkte (z.B. für das Zählen des Kauens oder Schluckens, für das Pausieren während des Essens, für das Essen an einem Platz). Extrapunkte können vergeben werden, wenn beispielsweise Verhaltensalternativen für kritische Situationen vom Klienten entwickelt wurden oder für die Überwindung schwieriger Situationen. Die gesammelten Punkte können dann ab einer gewissen Anzahl gegen materielle Verstärker eingetauscht werden.

Häufig berichten Patienten davon, daß die Gewichtsabnahme für sie Belohnung genug sei, und sie keine weiteren Belohnungen benötigten (Fuchs, 1982). Man sollte aber darauf bestehen, da u.a. Verhaltensweisen gelernt werden sollen, die nicht unmittelbar zu einem Gewichtsverlust führen.

LeBow (1991) weist auf 4 Regeln hin, die beim Einsatz positiver Verstärkungstechniken beachtet werden sollten. Erstens sollen dem Klienten die Zusammenhänge zwischen der erwünschten Veränderung und nachfolgender Konsequenz deutlich sein. Weiterhin ist es wichtig, daß wirksame Verstärker verwendet werden. Man muß hierbei beachten, daß Verstärker mit der Zeit an Attraktivität verlieren können. Wichtig ist auch die Glaubwürdigkeit des Therapeuten, wenn er seinen Klienten lobt. Das Lob sollte nicht übereifrig gegeben werden, sondern ehrlich gemeint sein, sonst kann es seine Wirkung nicht entfalten. Schließlich sollte das erwünschte Ereignis konsequent und nicht nach Gutdünken des Therapeuten verstärkt werden. LeBow (1991) macht darauf aufmerksam, daß die zu verstärkende Verhaltenseinheit eine gewisse Komplexität besitzen kann, den Patienten aber nicht überfordern darf.

Zielsetzung

Innerhalb der Therapieprogramme setzen sich die Klienten bestimmte Ziele. Diese können sich auf die Kalorienaufnahme, die Präferierung bestimmter Lebensmittel, auf das Bewegungsverhalten und auf das Eßverhalten beziehen.

Nach LeBow (1991) besitzt die Zielsetzung eine therapeutische Wirkung. Das Erreichen dieser Ziele bedeutet eine positive Rückmeldung, die es ohne eine explizite Formulierung nicht gegeben hätte (LeBow, 1991). Daraus ergibt sich, daß möglichst Ziele gewählt werden sollten, bei denen die Möglichkeit einer positiven Rückmeldung relativ hoch ist. Für die Praxis hat das die Bedeutung, daß das therapeutische Ziel in Zwischenziele aufgeteilt werden sollte. Allgemein wird in der relevanten Literatur auf eine realistische Zielsetzung hingewiesen. Ferstl (1980) weist darauf hin, daß zu hohe Zielsetzungen (Selbstbewertungskriterien) zu negativen Selbstbewertungen führen und innerhalb kurzer Zeit die Motivation des Patienten verringern.

Therapievertrag

Der Therapievertrag ist ein unterzeichnetes Dokument, in dem die Ziele der Therapie dargelegt und die Kontingenzen für bestimmte Verhaltensweisen festgesetzt sind. Dabei kann es sich um positive wie auch um negative Konsequenzen handeln (beispielsweise Geld einer verhaßten Organisation zukommen zu lassen). Im Rahmen von Selbstkontrollmethoden kann der Patient auch einen Vertrag mit sich selber schließen.

Therapieverträge oder Kontrakte werden oft lediglich als ergänzende Interventionen betrachtet. Trotzdem beinhalten sie einige wichtige Funktionen. Durch sie wird es möglich, klare Kriterien für die Zielerreichung zu formulieren und die Konsequenzen für das Zielverhalten festzulegen. Weiterhin setzen sie die dazu notwendigen Verhaltensweisen in Gang, da sie eine motivierende Funktion besitzen. Diese kommt durch die Präzisierung der Ziele und der Konsequenzen sowie durch die Einführung einzelner Schritte zur Verhaltensänderung zustande.

Neben der Schließung eines langfristigen Vertrages besteht auch die Möglichkeit, mehrere kürzere Verträge hintereinander zu formulieren.

Als allgemein therapeutische Vorgehensweise empfiehlt Reinecker (1997) folgende Punkte bei der Herstellung eines Vertrages zu beachten. Das zu kontrollierende Verhalten sollte möglichst präzise beschrieben werden, positive Konsequenzen genau festgelegt sein und der Therapeut sollte helfen, konstruktive Elemente aus bisherigen Lösungsversuchen des Patienten in den Vertrag einzubauen, um eine möglichst hohe Eigeninitiative des Klienten zu erreichen.

Empirische Hinweise

Mahoney, Moura und Wade (1973) untersuchten die Effektivität von Selbstbelohnung und Selbstbestrafung bei der Veränderung von Eßverhaltensweisen und Gewichtsabnahme. Am Ende der Therapiephase nach 4 Wochen und bei einer Nachuntersuchung nach 4 Monaten (Gewichtsabnahmen zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung in Klammern) hatten die Teilnehmer im Selbstbelohnungsprogramm 6,4 (11,5) Pfund abgenommen, die Probanden, die sich bei Erfolg belohnten und bei Mißerfolg bestraften 5,2 (12) Pfund, diejenigen die sich nur bei Mißerfolg bestraften (nicht aber bei Erfolg belohnten), 3,7 (7,3) Pfund. Eine Kontrollgruppe erhielt dasselbe Programm, wurde aber weder bestraft noch belohnt. Die Teilnehmer der Kontrollbedingung erzielten eine Gewichtsabnahme von 0,8 Pfund nach 4 Wochen und 4,5 Pfund nach 4 Monaten. Die Ergebnisse weisen nach Mahoney et al. (1973) darauf hin, daß Selbstbelohnungsstrategien eine effektive Komponente darstellen.

In einer Studie von 1974 konnte Mahoney zeigen, daß die adipösen Versuchsteilnehmer nach 8 Wochen signifikant mehr Gewicht verloren, wenn das neue Eßverhalten verstärkt wurde anstatt die Gewichtsabnahme. In einer Nachuntersuchung ein Jahr später zeigte sich die Effektivität dieser Vorgehensweise. In der Gruppe, in der das neue Eßverhalten verstärkt wurde, konnten 70% der Personen ihre Gewichtsabnahme halten bzw. weiter erhöhen gegenüber 40% der anderen Versuchsgruppe, die auf der Basis ihrer Gewichtsabnahmen belohnt wurden.

Fuchs untersuchte 1982, ob unterschiedliche Verstärkerpläne einen Effekt auf die Einübung der Selbstkontrolle besitzen, was sich in höheren Gewichtsabnahmen zeigen sollte. Untersucht wurden 3 Arten der Fremdkontrolle, nämlich eine kontinuierliche individuelle, eine intermittierende individuelle und eine allgemein gehaltene Verstärkung, die sich an die ganze Gruppe richtete. Gegenstand der Verstärkung waren Anwesenheit, Einhaltung der Regeln und Erledigung der Hausaufgaben. Weiterhin wurden die Effekte der Kontrolle einzelner Therapieschritte untersucht, indem nach Schwierigkeiten bei der Durchführung von Gewichtskontrollstrategien gefragt wurde.

Es zeigte sich, daß man durch eine kontinuierliche Verstärkung und Kontrolle signifikant bessere Ergebnisse bei der Gewichtsabnahme erzielt, als durch eine allgemein gehaltene Verstärkung ohne Kontrolle. Eine intermittierende Verstärkung brachte nicht, wie die Autorin vermutete, bessere Langzeitergebnisse.

In einer Studie von Jeffery et al. (1993) wurde der Frage nachgegangen, ob ein Geldbetrag als Verstärker die Gewichtsabnahmen verbessert. Die Versuchsteilnehmer erhielten einen Geldbetrag in Abhängigkeit von ihren wöchentlichen Gewichtsabnahmen. Erreichten die Probanden ihre Gewichtsabnahmeziele, bekamen sie 25 $, erzielten sie 50 % der vorgenommenen wöchentlichen Gewichtsabnahmen, wurde ihnen entsprechend 12,5 $ ausbezahlt. Es zeigte sich, daß eine Geldprämie für Gewichtsabnahmen keine effektive Strategie darstellt.

In früheren Studien desselben Autors (Jeffery, Gerber, Rosenthal & Lindquist, 1983; Jeffery, Bjornson-Benson, Rosenthal, Kurth & Dunn, 1984) erzielte man dagegen durch finanzielle Kontrakte gute Effekte. Bei diesen Untersuchungen wurde von den Klienten eigenes Geld einbezahlt, das sie dann in Abhängigkeit ihrer Gewichtsabnahmen zurückerhielten. Man kann vermuten, daß die Rückerstattung des eigenen Geldes einen stärkeren Effekt besitzt, als der Erhalt fremden Geldes, wie in der Untersuchung von Jeffery et al. von 1993.

In einer neueren Untersuchung von 1998 versuchten Jeffery et al. die langfristige Einhaltung des Bewegungsverhaltens durch eine Leistungsprämie zu erhöhen. Die Anzahl der durchgeführten Laufeinheiten eines Monats wurde finanziell belohnt. Den Teilnehmern wurde 1 $ pro Lauf für die ersten 25 Läufe, 1,5 $ pro Lauf für die nächsten 50 Läufe, dann 2 $ für die weiteren 50 Läufe und 3 $ für jeden weiteren Lauf während der 18 Untersuchungsmonate gezahlt. Die Teilnehmer, die eine Leistungsprämie erhielten, konnten die Anzahl der Läufe gegenüber einer Kontrollgruppe während der 18 Monate verdoppeln.

In den dargestellten Studien um Jeffery (Jeffery et al., 1983, 1984, 1993, 1998) zeigten sich Unterschiede in der Effektivität finanzieller Kontrakte. In der Untersuchung von 1993 (Jeffery et al.) hatte die finanzielle Belohnung der Gewichtsabnahme keinen positiven Effekt. In der Studie von 1998 (Jeffery et al.) verbesserte eine Leistungsprämie die Einhaltung des Bewegungsverhaltens. Jeffery et al. (1998) vermuten, daß bei letzterem die kontingente Belohnung eines unmittelbaren und direkt beobachtbaren Verhaltens für die positiven Ergeb-nisse verantwortlich ist.

In einer Untersuchung von Harris und Bruner (1971, zitiert nach Ferstl, 1980) wurde untersucht, ob sich die Ausfallrate durch die Einführung eines therapeutischen Kontrakts verbessern läßt. Die Patienten sollten für jedes Pfund, das sie insgesamt abnehmen wollten, einen Dollar als Deponat auslegen. Für jedes abgenommene Pfund, erhielten sie dann einen Dollar zurück. Für das Nichterscheinen zu einem Termin wurde ein Dollar einbehalten. Im Gegensatz zum erwarteten Effekt war die Ausfallquote bei der Kontraktgruppe größer als bei der Kontrollgruppe.

Die oben dargestellten Untersuchungen weisen darauf hin, daß eine positive Verstärkung des Eßverhaltens zu positiven Effekten bei der Gewichtsabnahme führt. Wenn die Erreichung vorher festgelegter Gewichtsabnahmen zur Grundlage der Verstärkung gemacht wird, sollte, wie bei allen anderen Therapiezielen, auf eine realistische Zielsetzung geachtet werden. Das Problem bei der Verstärkung auf Basis der Gewichtsabnahmen ist, daß diese oftmals langsam und nicht kontinuierlich verlaufen. Eine dann ausbleibende Verstärkung könnte die Klienten zusätzlich zu ihrer Enttäuschung über stockende Gewichtsabnahmen demotivieren. Die Zurückerstattung des eigenen Geldes scheint ein effektiver Verstärker zu sein. Positiv wirkt sich aus, wenn die Grundlage der Verstärkung beobachtbar ist und unmittelbar verstärkt werden kann, beispielsweise bei körperlicher Bewegung, im Gegensatz zu Gewichtsabnahmen, die häufig nur wöchentlich erhoben werden. Der richtige Einsatz von Verstärkern, eine realistische Zielsetzung und der Abschluß von Therapieverträgen können positive Effekte besitzen. Basierend auf den unterschiedlichen empirischen Ergebnissen, scheint aber für den richtigen Einsatz dieser therapeutischen Mittel, ein gehöriges Maß an klinischer Erfahrung und Fingerspitzengefühl auf Seiten des Praktikers notwendig. Weiterhin sollten Verstärker, Zielsetzung und Therapiekontrakt immer individuell erarbeitet werden.